Johanna Schwanberg: „Diese Grundhaltung, frei und kreativ zu denken, war das, was mich gefördert hat“

WAM: Gibt es noch Kontakt zu ehemaligen Mitschülern?

Johanna Schwanberg: Ich habe intensiven Kontakt zu etwa sechs Leuten aus meiner Klasse, einer der ehemaligen Klassen von Elisabeth Jordi, auch zu einigen aus anderen Klassen. Aber ich hatte schon eine Zeit von sieben, acht Jahren, in denen ich kaum Kontakt zu WaldorfschülerInnen hatte. Es war keine bewusste Entscheidung, aber es war offenbar in den ersten Studienjahren wichtig für mich, um auch eine eigene Identität jenseits der Schule aufzubauen. In diesen Jahren haben ich viele Menschen kennengelernt und neue Freundschaften mit Leuten ganz anderer schulischer Hintergründe geschlossen. Plötzlich hat es sich dann mit einer Gruppe von sechs ehemaligen WaldorfschullkollegInnen wieder total verdichtet. Das Schöne ist, dass man fast eine familiäre Bindung zueinander hat, als wäre man verwandt. Man braucht nichts über seine Eltern oder die Kindheit zu erzählen. Jeder weiß ja alles wie in einer Familie. Das ist toll.

Natürlich gibt es aber mit denen, die ich öfter sehe, auch Interessenüberschneidungen in Bezug auf Kunst, Literatur oder Architektur, wie etwa mit Margarethe Dietrich, Matthias Goldmann, Christof Stein oder Christian Bauer. Die Waldorfschule als verbindendes Element alleine wäre zu wenig.

WAM: Du hast auch Russisch studiert?

Johanna Schwanberg: Ich habe am Anfang im Nebenfach Russisch studiert, denn die russische Sprache und Literatur haben mich fasziniert, und ich habe mir in der Schule in Russisch immer leichtgetan. Aber ich habe dann gemerkt, dass die Verbindung von bildender Kunst und Literatur meine Hauptinteressen sind und dass es zwar bereichernd ist, Russisch zu können, aber dass ich keine Slawistin werden will. Deswegen habe ich dann aufgehört. Aber es ist immer gut, auch beruflich natürlich, wenn man Russisch kann.

WAM: Wie ging es dann weiter?

Johanna Schwanberg: Ich habe zuerst Literatur- und Kunstwissenschaft studiert, daneben, wie gesagt, Russisch. Das alleine war mir allerdings zu trocken. Als Künstlerkind war ich von der ikonografisch und stilgeschichtlich ausgesprochen historisch ausgerichteten Kunstgeschichte im Wien der 80er-Jahre und der Anonymität an der Uni Wien enttäuscht. Das war nicht das, was ich mir von einer Universität erwartet habe. So habe ich dann an der Angewandten nebenbei mit einem Doppelstudium begonnen: Malerei und Kunsterziehung. Da habe ich mich wieder mehr gefunden, in diesem heimischen Kleineren und Kreativen. Später habe ich ein Doktoratsstudium in Germanistik und Kunstwissenschaft angeschlossen und nebenbei schon angefangen, als Kunstkritikerin für Zeitungen zu arbeiten, weil ich immer gerne und auch lebendig geschrieben habe. Das Schreiben war auch sicher etwas, was in der Waldorfschule mit einem tollen Literaturunterricht gefördert wurde. Zu dieser Zeit habe ich dann auch schon kuratiert und Ausstellungen realisiert. Zudem hatte ich bereits während des Doktoratsstudiums eine halbe Uni-Stelle für Kunstwissenschaft und Ästhetik in Linz, mein Arbeitsfeld hat sich zunehmend in konzentrischen Kreisen ausgeweitet.

WAM: Wie bist Du dann in das Dom Museum Wien gekommen?

Johanna Schwanberg: Im Jahr 2012 habe ich von der Ausschreibung meiner jetzigen Stelle erfahren. Das Museum war bereits geschlossen, denn die Erzdiözese Wien wollte das ehemalige 1933 gegründete Dom- und Diözesanmuseum, wie es früher hieß, komplett neu positionieren: Es hat wunderbare historischen Kunstwerke wie das berühmte Rudolfsporträt, aber auch die umfangreiche Sammlung Otto Mauer mit bedeutender österreichischer Nachkriegskunst.  Da habe ich mir gedacht: Unglaublich, bei dieser Herausforderung kommt alles zusammen, worauf ich jetzt zwanzig Jahre hin hingearbeitet habe: Vom Vermitteln über Ausstellen und Forschen, und das alles mit alter und gegenwärtiger Kunst. Ich habe dann auch das Hearing gewonnen und anschließend vier Jahre mit einem großartigen Team alles neu aufgebaut: die Sammlungspräsentationen, die Shopartikel, die Publikationen, die Multimediaguides,  die Corporate Identity, ein Kreativ-Atelier, das  Personal, das Depot und vieles mehr. Es ist phantastisch, wenn man einen Job hat, in dem man sich so kreativ verwirklichen kann.  Schließlich kam noch dazu, dass ich auch die Geschäftsführung übernommen habe. Das macht mir überraschenderweise sogar mehr Spaß, als ich gedacht habe.

WAM: Warst Du als Waldorfschülerin auf die harte Realität vorbereitet?

Johanna Schwanberg: Es sind viele wirtschaftliche Dinge in diesem Job gefordert, die weder mein Schwerpunkt gewesen sind, noch sind sie in der Waldorfschule gefördert worden. Aus meiner Sicht ist es eines der Defizite, dass Geld, zumindest zu meiner Zeit, kein Thema in der Schule war. Aber wir leben nun leider auch in einer Welt der ökonomischen Zwänge. Ein gewisser Realismus und etwas mehr Weltverankertheit würden sicher nicht schaden. Umgekehrt schafft die stark kreative und humanistische Orientierung der Waldorfschule Freiräume, um kreativ denken und handeln zu können. Obwohl ich nicht sehr begabt in Mathematik bin, war ich bei der Matura ausgesprochen gut in diesem Fach! Das hängt damit zusammen, dass mir einfach niemand etwas verdorben hat. Ich glaube, das größte Geschenk in einer Schulausbildung ist, wenn man nicht eingeredet bekommt, dass man irgendwas nicht kann. Ich bin mit einem großen Selbstbewusstsein von der Waldorfschule gegangen und habe das Motto „Du kannst dir alles erarbeiten und auch deine Schwächen durch Fleiß kompensieren“ umgesetzt. Im Berufsleben wurde mir immer wieder rückgemeldet, dass ich Hierarchien nicht ganz so ernst nehme und meine Meinung auch dort sage, wo ich Autoritäten gegenüberstehe oder auf Widerstand stoße. Das ist sicher eine Prägung der Waldorfschule: Für mich ist jeder Mensch gleich, egal in welcher Position er sich befindet.

WAM: Wurde durch den Kunstunterricht in der Schule Dein Interesse geweckt?

Johanna Schwanberg: Was ich wichtig finde, wenn ich es jetzt mal so runterbreche, ist, dass das kreative Denken und Potenzial sehr gefördert werden. Dass ich nicht eingeschränkt wurde durch kognitive Zettelausfüllgeschichten. Diese Grundhaltung, frei und kreativ zu denken, war das, was mich gefördert hat. Das Künstlerische kam stark durch meine Familie; mein Vater ist Bildhauer. Da war die Waldorfschule sicherlich nicht schädlich, aber ich kann nicht beurteilen, wie fördernd sie war, weil es in der Familie so stark präsent war. Zu Beginn des Studiums an der Kunsthochschule war der künstlerische Waldorf-Hintergrund sogar schwierig, weil die Ecken und Kanten in meiner Arbeit gefehlt haben und ich dieses weiche Schichtmalen erst wieder aus meinem Kopf kriegen musste.

WAM: Wie viele Fernseher besitzt Du?

Johanna Schwanberg: Wir hatten in meiner Kindheit einen Fernseher und ich bin auch in keiner strengen Antroposophenfamilie aufgewachsen. Das war vielleicht auch gut, sonst hätte ich mich wahrscheinlich mehr dagegen aufgelehnt. Heute haben wir auch einen Fernseher, mein Mann ist Journalist und schaut natürlich immer die Nachrichten.

WAM: Sind deine Kinder in der Waldorfschule?

Johanna Schwanberg: Ich bin sehr froh, dass ich damals diesen Weg gehen konnte, habe es aber nicht als absolut notwendig für meine Kinder empfunden, dass sie die Waldorfschule besuchen. Ich hatte das Gefühl, dass sie durch meine Prägung und meine pädagogische Grundhaltung ohnehin sehr viel Waldorfgedankengut mitbekommen haben. Vielleicht war ich selbst auch neugierig, wie ein anderer Weg aussehen könnte. Das kannte ich ja gar nicht, da ich sowohl den Waldorfkindergarten als auch die -schule besucht habe. Im Laufe der Jahre habe ich allerdings schon immer wieder auch Zweifel bekommen, ob die Waldorfschule für meine Kinder nicht doch besser gewesen wäre ohne den wahnsinnigen Schularbeitsdruck, unter dem sie stehen. Am meisten stört mich eigentlich an dem „Nicht-Waldorfsystem“  dieser ständige Überprüfungscharakter. Im Vergleich zu meinen Kindern habe ich eine sehr entspannte Jugend gehabt, indem ich nicht dauernd von einem Test zum nächsten musste. Aber wir wohnen mitten in der Stadt und haben uns als zwei berufstätige Eltern für die Schule ums Eck entschieden.

WAM: Was erhoffst Du Dir von einem Ehemaligenverein?

Johanna Schwanberg: Ich konnte während des Aufbaus meiner Karriere  kein Waldorfnetzwerk nutzen, aber es ist ausgesprochen begrüßenswert, wenn Ehemalige sich gegenseitig fördern und beruflich weiterbringen. Ein berufliches Netzwerk über die Waldorfschule zu haben, könnte besonders für junge AbsolventInnen extrem hilfreich sein. Ich denke, dass wir uns als WaldorfschülerInnen nicht nur menschlich treffen sollen – was auch wunderschön ist –, sondern auch das Potenzial unserer ganzen Begabungen und beruflichen Erfolge nützen, um uns gegenseitig zu unterstützen. Bei mir ist der Zug schon abgefahren, ich bin meinen Weg gegangen, aber jetzt kann ich vielleicht anderen helfen.

Johanna Schwanberg, Klasse Jahrgang 1972
Klassenlehrer: Felix Götze und Elisabeth Jordi
Tutoren: Helmut Wagner und Michael Holdrege

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